Atmet und schläft in Wien. Arbeitet ebenda auch manchmal. An Illustrationen, Fisimatenten oder daran endlich die richtige Müllsack Größe zu kaufen. Macht manchen Sorgen und sich eine große Freude mit dem Studium der Sprachkunst. Schreibt über Fliederlila, Stromausfälle und Zitronenschaum. Irgendwas im Internet, ihre Oma ist sich da nicht so sicher, unter urbananouk.com. Mag Pfirsiche, aber nur die flachen.

Alle Artikel von Anouk Doujak

Sommerblau

In der Florianigasse laufe ich blind gegen das Licht. Du schreibst mir deine Träume. Bei der Votivkirche riecht es aus einer Gasse nach Suppe, Touristen steigen in Busse. Im Park sehe ich wie jedes Mal den Volleyballplatz und denke an deinen Freund, den ich nicht kenne.
Vor dem Justizpalast liegt ein Stück Speck am Boden. Ich warte lange an der Ampel. Wenn ich müde werde, denke ich an alles was mich wütend macht und laufe schneller, bis wieder alles egal ist. An einer Ecke sitzen Menschen auf Hochstühlen, trinken Kaffee und es riecht nach Süßstoff und den in Plastik verpackten Milchbrötchen, die ich als Kind nie essen durfte. Du rufst an, ich erzähle dir von meinen Träumen, bis ich in das Unigebäude biege und keine Luft bekomme, weil dort frisch gemähter Rasen liegt oder die Treppe zu lange ist.
Ich höre meinem Zitronenbaum beim Trinken zu. Mein zweiter Zeh wirft Blasen. Vor dem Fenster kann ich die Pollen fliegen sehen. Esse ein Blatt Klee und stehe eine Weile in einem Sonnenfleck am Boden.
Drei Männer kuscheln in der ersten Reihe eines Lastwagens. Eine Mutter sagt laut Sag-a-mal.
Wir zeigen uns gegenseitig schöne Frauen. Ich muss noch darüber nachdenken was ich trinken möchte. Der Kellner geht wieder.
Der Himmel ist schon ein bisschen Sommer blau. Ich habe Lust auf tanzen, du arbeitest morgen und küsst im gehen in die Luft.
Ich sitze neben dem Waschbecken und betrachte meine Beine. Überlege, wie viel Zweifel gut sind. Die meisten eingewachsenen Haare sind doch Muttermale. Ich weiß ja nicht mal, was blau eigentlich ist. Niemand weiß das wirklich und trotzdem ist so viel blau. Wir können uns genauso einbilden, das blau da ist und dann ist es da.
Ich suche Nachtbusse für meinen Bruder heraus und sende sie meiner Mutter.
Meine Pflanzen werfen Schatten hinter den Schreibtisch, ich mache das Licht aus, bis nichts mehr da ist. Meine Bettdecke war mal gelb, aber was weiß man schon. Ich glaube, du hast schon drei Wochen nicht mehr bei mir übernachtet.

Ich lasse die Socken an, weil ich vergessen habe, was ich alles nicht kann.

Ich frage den Schaffner in welche Richtung der Zug losfährt, er trägt einen Ohrring, ich setze mich um. Ein Großvater und Enkel essen Waffeln aus dem Bordrestaurant, der Zucker klebt in der Luft. Am Bahnsteig sitzt eine Dame. Woher haben die Omas alle plötzlich ihre Locken her?
Zwischen grün und grün zieht das Kopfweh ein. Meine Hände sind kalt oder meine Stirn heiß. Zittrig rufe ich dich aus Nürnberg an, schlucke eine Schmerztablette. Ach, sagst du warm und ich steige wieder ein. Lockenwickler fällt mir ein. Die Locken.
Ich starre, in der Jackentasche eine Kotztüte. Speibsackerl. Draußen fliegen Rapsfelder und du wüsstest woran mich das erinnert.
Zuerst sehe ich einen Rock mit Leopardenmuster und Stiefel. Sie drückt mich und wir sitzen am Bahnsteig. Erstmal klarkommen. Leipzig ist der größte Kopfbahnhof sagt sie, wir gehen los. Die Gehwege sind breit.
Wir sitzen in der Küche. Das Fenster ist offen, ich zähle Schornsteine und sehe ihr beim Trauben essen zu. Der Mitbewohner rollt Nudelteig auf der Herdplatte. Wir reden über Luftdruck und Mondphasen. In der Weinflasche steckt eine Kerze. Beim Einschlafen berühren sich unsere Ellbogen und ich lasse die Socken an, weil ich vergessen habe, was ich alles nicht kann.

Frühstückst du auch herzhaft? Ich nicke. Das Fenster ist wieder offen, Vögel zwitschern, ich sende dir diesmal keine Aufnahme. Sie legt Gurkenscheiben auf bestrichene halbe Brötchen, ich esse eine Traube und denke, ja, das hat wirklich Herz. Der Tee schmeckt nach Marzipan und die Nasen sind noch verschlafen. Am Bett sitzend sehe ich ihr beim Schminken zu und fühle mich ein bisschen angekommen. Wie Zuhause beendet sie ihren Satz und die Tür fällt zu. Ich schließe das Fenster und ziehe alle Pullis an, die ich habe.

Ich laufe eine laute Straße entlang, vergrabe meine Händen in den Taschen und fühle die Kotztüte. Vor einer technischen Fakultät versucht ein Mann mit gesenktem Kopf in seiner Tupperdose zu verschwinden und knabbert vorsichtig an Karotten. Die Ampeln sind hier groß und alles fängt an zu surren. Zum Mittagessen sitze ich an einem Hochtisch und neben mir unterhalten sich zwei Männer über künstliche Intelligenz. Die nächsten zehn Jahre werden die bedeutendsten des Jahrhunderts. Ich trinke eine Ingwerlimo. An der Kasse steht eine Frau mit fliederlila Socken. Ja, alles vegan wiederholt die Kellnerin. Mein Nacken zerrt an meinem Kopf, ich lasse die Limo stehen und gehe. Einmal Kaugummi sage ich im Späti, dann fällt alles zusammen.

Im Bett, ja, ich weiß nicht ob ich kann, flüstere ich. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch kann. Kurz kann ich vielleicht, ja, ich komme, kurz. Sie sitzt mir im Cafe gegenüber. Ich trinke Kakao, er bleibt süß auf der Zunge liegen und mir wird übel. Versuche ein Hinschauen, sogar das dunkelblau schreit. Ein Mottorad rast wie Säure über meine Sinne. Mein Gesicht bröckelt, wir gehen wieder, die Milch schaukelt im Magen. Später erzähle ich ihr, dass ich die Tische schön fand. Sie nennt mich Herz.

Im dunklen Treppenhaus rufe ich dich an. Du verstehst mein Schweigen, erzählst von Texten und Nudeln, fragst in die Luft ohne Erwartung. Alles klemmt in mir. Ich stecke im Alten, für das ich zu groß geworden bin. Vielleicht versuche ich mich auch hinein zu drücken, wie in die Jacke, die mich an meine Kindheit erinnert und merke erst jetzt – Altes kratzt an den Rippen und im Hals.

Mir, ich starre an die Decke, geht´s nicht so gut, sage ich. Wir liegen im Bett. Die Welt möchte meinen Kopf raspeln, glaube ich, mein Hirn reiben wie Parmesan oder Karotten für Salat. Alles ist viel und ich bin zu wenig. Außer Angst und Oberschenkel, von denen habe ich mehr als genug. Ich sehe kurz rüber. Und wofür bist du dankbar, fragt sie. Ich überlege, sie macht das Licht aus.

Wir kaufen Karottenbrötchen und an der Busstation ist die Welt immer noch nicht weniger. In der Hocke halte ich mir die Ohren zu und sage Entschuldigung, ich bin gerade nicht da. Alles gut, meint sie, aber ich bin mir da nicht so sicher.

Wir schaukeln Wärmeflaschen auf den Bäuchen. Hier, nimm die letzte Pommes. Wir sehen alte Fotos an. Damals hätten wir uns auch schon gemocht, meint sie und ich würde sie gerne drücken, sage aber nur ja. Wahnsinn, waren meine Haare da lang, sagt sie. Wir reden über Haustiere und das Meer. Ich habe vergessen wie mein Hamster hieß.

Morgens sind ihre Augen hell und weich. Zum Frühstück trinken wir Schokotee. Ich stopfe alles in die Tasche und schreibe ihr eine Karte für später. Sie trägt meine Pflanze bis zum Bahnhof. Ich möchte dir alles zurück geben, sage ich in ihre Halsbeuge und meine eigentlich auch. Auch geben.

Ich gieße meine Pflanzen und klebe den Fotostreifen an die Wand. Stelle mir vor, wie sie Quatsch mit Soße sagt und lacht. Du hast mir Post Its geschrieben und die Heizung aufgedreht. Es regnet. Hannibal, Hannibal hieß der Hamster.

Gefrierbrand

Es friert, wird leicht, schwimmt oben. Manchmal friere ich mich unabsichtlich ein paar Tage ein. Das ist leicht, wenn ich nicht hinsehe und die Zeit verschwimmt. Es beginnt mit dem Mund. Zum Schluss ist alles nur noch linear. Die Arme, die Beine, das Herz. Alles linear und kalt. Zum Gefrierbrand ist es noch nicht gekommen, weil mein kleiner Zeh meist irgendwo hängen bleibt oder meine Lippen schreien und dann muss ich auftauen. Am längsten bleiben die Augen kalt. Manchmal friere ich mich auch absichtlich ein, wenn ich mich ein paar Tage nicht brauchen kann. Die steifen Wochen sind lila im Kalender markiert, ich zeige sie niemand.

Stromausfall

Ich habe mich unabsichtlich abgeschaltet. Liege neben dir und weiß nicht, ob ich dir das sagen müsste. Dass da gerade nichts ist. Dass ich mir nicht so sicher bin, wie man das wieder aufdreht. Du wüsstest das wahrscheinlich. Oder du würdest es googeln. Du hast oft Lösungen. Mein Mund ist aber zu taub. Ein bisschen pelzig schon. Deshalb liege ich einfach da, dann ziehe ich meinen Fahrradhelm an und gehe. Ich topfe meine Pflanzen um und mache ein Bananenbrot, dass ich dann einfriere. Google Stromausfälle. Derzeit kommt es in Teilen im Versorgungsgebiet zu Unterbrechungen der Stromversorgung. Vielleicht ist es das, denke ich. Vielleicht stimmt etwas in meinem Versorgungsgebiet nicht.  Der Standard fragt, worauf man sich bei einem Blackout einstellen muss.
Die Antwort ist, zunächst Ruhe bewahren, ein Stromausfall ist nur für kurze Zeit gegeben. Beruhigt lege ich mich ins Bett. Nachts sieht man Abwesendes sowieso nicht. Ich schreibe dir gute Nacht.
Wir fahren UBahn und das Nichts verschwindet. Vielleicht ist es wie mit dem Wlan, denke ich. Das funktioniert auch manchmal nicht. Dann lasse ich es ein paar Tage und irgendwann funktioniert es wieder. Vielleicht ist es einfach so, denke ich.

Weiß

das weiß schreit, ich will ein text von dir, doch alles was mir einfällt, ist der verlorene falter um ein uhr und der schmetterling am fenster des kindergartens, der sieht aus wie ein glücklicher hotdog. ja, und was sagen sie dir, fragt das weiß. ich zucke die schultern.
bei mama finde ich alte tagebücher, in einem pickst mich ein fisch beim schwümen und wir drinken kokdel und machen fiel und am schluss essen wir immer abend. irgendwann bleibt auch nur weiß.
mein uterus ist wütend, wir gehen einkaufen, doch das kuscheltier ist zu teuer, also investiere ich in ein kilo saturnpfirsische und knalle die kundenkarte auf die kasse. wut ist gut, meint das weiß und wartet, doch ich muss schnell die angedatschten pfirsiche essen. und? jetzt nerv nicht so verfickt.
erzähl doch wenigstens von den wassermelonenflecken am bett und den geschlossenen vorhängen, traurigkeit kommt gut oder was wildes über klitoris, was isn da die mehrzahl, überlegt das weiß. oida, nein, sag ich. ich schreib nicht mal, dass die stadt nach sonnencreme, salz und durchfall riecht, weil das verdammt nochmal niemand interessiert ok? ok? das weiß schweigt. und das mir alles manchmal zu verfickt gut ist, dass ich im dunkeln liegen muss, geht niemand was an. ja, aber, setzt es an. ich mag dich ja, murmel ich, aber da sind so viele seiten die in meinen kopf müssen und ich hab nicht immer einen sinn für dich. manchmal muss reichen, dass man am schluss abend isst. und bald, da klatsch ich mir dich wie creme ins gesicht und meine knöchel ins wasser und sauge dir sinn aus jedem scheiß kokdel und setz ein schirmchen drauf. bald, sagt das weiß. ich nicke und ess noch einen pfirsich.

Banane

Auf meinem Stuhl liegt eine Banane. Im Bauch ein aaaah. Vor dem Fenster gehen zwei Schornsteinfeger vorbei, sie sehen sich die Felgen des Mercedes an. Viel Glück bringt auch nichts, wenn das, was du wirklich willst nicht ist. Und wenn es lang genug nicht ist, redet sich die Zeit in den Kopf, bis du denkst es nie gewollt zu haben. Spiritualität fickt deine Gefühle bis alles gut sein muss und genau deshalb nicht ist.
Ich werfe die Banane weg.

Das Private ist politischer Glitzerlack

Champagner, die Trüffel da und, äh, Amaretto. Alles. Ich zahle und überlege beim Gehen, was Amaretto eigentlich ist. Egal, Hauptsache es klingt teuer und macht die drei Kugeln in Cellophan glamouröser. Geschenke, für Menschen die ich nicht mag, kann ich mittlerweile gut kaufen.
An der Ampel bleibe ich stehen, der Druck alles korrekt zu machen sitzt zu tief, als das ich jemals cool sein könnte. Neben mir steht ein Herr mit einem großen und einem kleinen Ohr, ich sehe ein bisschen zu lang hin.
Zuhause versuche ich Dresscode chic zu dechiffrieren und liege apathisch vor dem Kleiderschrank. Fuck this denke ich mir und esse die Pralinen selber. Dann befolge ich die drei A`s der Dinnerpartys – Ausschnitt, Absatz und Lidschatten. Überlege ein bisschen zu lange, ob ich noch was essen soll und verpasse die Straßenbahn. Streiche mir die Nägel frech mit Glitzerlack an. Das private ist politisch.
Gestresst hacke ich mit meinen drei Zentimetern in den Boden ein und denke, mein Gott, da würde ich nicht wohnen wollen. Dabei glaube ich nicht an Gott, aber vielleicht wäre das hier noch eine der sinnvolleren Zeitvertreibe. Ave Maria.
Entschuldige, sage ich achtmal, für jede Minute die ich zu spät bin, aber es verschwindet zwischen Küsschen rechts links ohne Ton. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, das stumme Wange an Wange drücken oder das gut getimte Schmatzen. Ich habe schon Verspätungen eingeplant haucht sie mir cremefarben ins Gesichter und ich kam mir noch nie trotteliger vor.
Drinnen drehe ich Schlaufen um Kreise und habe mehr Körperkontakt als im letzten Monat. Gut, dir?
Den Unbekannten gebe ich die Hand, das hat den richtigen Steifegrad für diesen Abend.

Man darf jetzt zugreifen und wir stecken uns Grissini in den Hals und Brötchen schmücken nutzlose Hände und Gespräche. Ich hasse es, wenn ich nicht Herrin des Essens bin oder anders gesagt, nicht weiß, wie viel Vorspeise ich essen soll und was danach wartet. Viel kann es nicht sein, denn das Geschirr hat Goldrand und der wird sicherlich nicht überladen.
Die zweite Runde Sekt wird eingeschenkt und ich streiche über den Marmor der Küchenplatte. Eins, zwei, drei Schritte. Ja, die ist größer als mein Bad. Irgendwo bingt mein Handy und mein Herz sticht kurz, nein, wieder nicht er. Ich lasse mir die Wohnung zeigen. Nirgendwo hängt ein Bild oder tropft eine Farbe. Der Schrank ist groß, sehr praktikabel sage ich und meine eigentlich praktisch. Nun, wenn ich einmal einen Mann habe, wird es eng, sagt sie, lacht adrett und ich denke mir, das ich Händchen halten erstmal schon ganz okay fände. In meinem Schrank steht der Staubsauger. Wenn ich mich einsam fühle, baue ich romantische Wörter um, bis es mir besser geht. Hautnah wird Epidermisnah und das macht so einige Gedichte besser. Wenn das nicht hilft, empfehle ich romantisch besetzte Körperteile zu googlen. Die Zunge ist ein länglicher, von Schleimhaut überzogener Muskelkörper. Sie nimmt am KauenSaugen und Schlucken teil.
Die Vorspeise wird in diesen Gläsern mit durchsichtigem Boden serviert und irgendwer redet über einen David. Ich rechne aus, wie viele Glitzernagellacke ich für den Rosenschmuck kaufen könnte. Eigentlich nicht, denn ich hasse Kopfrechnen. Das Gemüse ist ein bisschen zu weich gekocht und ich lächle das erste Mal ehrlich. Lege abwechselnd meine Gabel an den Teller und werfe ein Wort auf den Tisch, denn gemeinsames Tempo ist der Schlüssel zur Harmonie.
In der Schokoladentorte kann man sich sehen. Ich sollte dringend mal meinen Spiegel putzen.
Nach dem Essen fallen die Menükarten vom Tisch und die Steifheit knickt ein bisschen. Wir spielen das Erwachsenenspiel nur noch mit halbem Gesicht.

Gratuliere, du hast abgenommen, gratuliere! Ich sage `unabsichtlich`. Machst du viel Sport? Nicken bietet sich in solchen Fällen besser an, als `zu lange in jemanden verliebt gewesen, für den ich mich nicht gut genug fühlte und viel blankes Toastbrot auf einsamen Magen‘. Das nächste mal sage ich dann Magen Darm, überlege ich mir. Willst du auch ein Bussi?

Wieder Wange an Wange pressend schließen wir den Abend und ich  kann in einem Auto mitfahren. Haben schon etwas, diese Dinnerparties.


Sonntags lasse ich mich zu einem Weihnachtsmarkt schleppen, es ist November. Es riecht nach verbranntem Zucker und Sauerkraut. Der Chorleiter spricht in seiner Ansage von blauen Nächten und, dass der Weihnachtsmann stirbt und meint es nicht poetisch. Menschen ecken an Menschen und irgendwer dampft mir Punsch aus dem Rachen ins Gesicht. Ein Junge sagt Hashtag Ehrenmensch und ich gehe nach Hause.

Auf dem Weg zum Seminar passiere ich einen Park. Ein Mann ruft Max und ich sehe einen Hund und ein Kind rennen.
„Ich kann mich schlecht kurz halten“ sagt er und ich denke, es gibt bessere Sätze, um einen Vortrag zu beginnen. Die Mittagspause verbringe ich mit Nicken und abends ist mein Hals steif. Wir müssen die Schuhe ausziehen, danke Herbst, und in Socken sieht jeder ein bisschen verletzlicher aus. Ich mag das. Jemand lacht eine Terz tiefer und ich fühle mich an das Zuhause erinnert, in dem ich nie wohnte. Eine Terz tiefer ist dort auch alles gewesen.
Meine Augen lesen Texte. Die Zeit zieht an den Gelenken, aber die sind zäh.


Misteln sind sich selber zu viel. Sie töten ihren Baum, aus Überschwang. Manchmal habe ich Angst vor meinen eigenen Misteln. Ästen mit Mistelbefall sollte ins gesunde Holz gesägt werden. Angst mir selber ins Fleisch zu graben, einen Meter zu tief. Damit kann die Ausbreitung der Pflanze in der Regel gestoppt werden. Bis in luftleere Ebenen. Das geht natürlich nur, wenn der Baum im Außenbereich befallen ist. Die Maßnahme hilft dem Baum, besser damit klarzukommen. Vielleicht sind die Misteln aber auch meine Maßnahme.

Schon wieder der dritte Tag. Immer, wenn ich sie treffe, ist es der dritte Tag nach dem Haare waschen und das macht mich nervös. Ich vergesse das und muss los.
Danach gehe ich einkaufen, da kann ich am besten nachdenken. Starrend stehe ich vor einem Regal mit Orangeat. Das fand ich schon immer ekelhaft, aber vielleicht würde es sich nach Weihnachten anfühlen, es zu kaufen.

Im nächsten Geschäft hocke ich vor Duftkerzen, ich habe mich gegen das Orangeat entschieden. Duftprofil elegant. Die Kerzen sind verschlossen. No risk no fun. Mein Handy bingt. Er. Meine Hände zittern und ich hatte ganz vergessen, wie scheiß anstrengend es ist, wenn einem jemand etwas bedeutet. Zur Beruhigung gehe ich an dem alten Cafehaus vorbei und sehe durch die Fenster.
Zuhause streiche ich meine Zehen an. Es sieht aus, als wäre Silvester auf meinen Füßen passiert. Die waren schon immer das wildeste an mir. Ich verschütte ein bisschen auf den Boden. Das ergänzt sich gut mit dem kleinen Blutfleck dort. Den hatte ich gestern aus rein ästhetischen Gründen nicht aufgewischt. Ich mag die persönliche Note.
Abends schmeiße ich den Töpferkurs und zünde meine Kerze an. Es riecht nach eleganter Toilette. Irgendwo auf Instagram hat ein Öko einen Orgasmus von seiner Gutemenschigkeit im U
nverpacktwaren-Laden. Ich lache mit meinen Schultern und eine Emmer Urkorn Nudeln fällt von meiner Gabel.

Morgens in der Straßenbahn wickelt ein Mann rosa Wolle auf und steckt sie dann in eine dieser viereckigen Umhängetaschen mit runden Ecken und ich denke mir, ja, ich auch.

 

// Sollest du dich in diesem Text erkennen, tus nicht. Die Grenzen zwischen fiktiv und echt sind durch die Luft gerissen.

Enden ohne Punkt

ich atme enden ohne punkt
verschlucke mich gegen 3
dagegen hilft
decke in die gassen hängen,
handtücher im schleudergang.
atmen – zu.

meine schultern sind endlich wieder angespannt.
atmen – auf.

blauer lippenstift,
tanzen bis deine hände aus meiner taille fallen.
atmen – hoch.

in der innenseite meines schenkels liegt dein hüftgelenk von gestern,
vielleicht habe ich mich auch nur angehaut.
um deinen namen zu sehen muss ich schon scrollen und tu es nicht. immer.
atmen – unten.

geborgenheit musst du jetzt aus anderen busen nuckeln,
ich streiche mir selber über den kopf.
schmeiße alle deine allergien in einen topf und ordentlich knoblauch drauf.
atmen – hinaus.

male punkte punkte punkte.
vergiss nicht, ich weiß wie deine zehen aussehen, wie lang du gebraucht hast.
atmen, atmen.

Zahnmulde und Kochtopf

Ich habe Mamas Zähne. Der mittlere steht vor seinem Nachbarn und sagt `hallo` beim Lachen. Ich weiß das von früher. In letzter Zeit sagt Mamas Zahn selten `hallo`.
In letzter Zeit, das ist so ein Ausdruck, den verwendet man, wenn man sich selber vergewissern muss, dass man gelebt hat. Wenn man sich kurz umschauen muss, kurz in den Ärmel lucken und in der Jackentasche krümmeln bis man ein Gestern findet. Dann nickt man bevor man es weiß und sagt, ja, in letzter Zeit.
Ich frage mich, ob Mama auch kichern müsste – Zähne als Nachbarn.

Wenn ich nervös bin, verschwindet meine Zungenspitze hinter dem Zahn in der Mulde.

Ich stehe vor dem Spiegel und übe Lachen ohne Zahn. Gleich klingelt Papa. Ich überlege, ob er Mamas Zahn damals gespürt hat, beim Küssen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie das jemals getan haben. Krame durch Fotos auf der Suche nach Mündern und finde bloß Urlaub.

Papa und ich finden uns selten. Manchmal passiert das in Kochtöpfen. Zwischen Kala-Namak-Salz und Ochsenherztomaten kreist der Kochlöffel und es eckt nicht mehr alles an. Er sagt dann `Zwiebeln sind das süßeste Gemüse` und ich nicke. Das funktioniert, ich darf nur nicht den Zahn zeigen.

Wenn ich sonntags Mama besuche, öffne ich den Kühlschrank, obwohl ich weiß, dass in der Gemüselade nichts liegen wird. Manchmal ein müder Fenchel. Mama, sage ich dann.
Beim Kochen achte ich darauf nicht allzu rund zu rühren. Wenn sie wegsieht, lasse ich manchmal Kala-Namak-Salz in den Topf fallen und meine Zunge verschwindet in der Mulde.

Jedes Mal wenn ich Oma besuche, kann ich ein Stückchen mehr in ihren Halsfalten verschwinden während sie von Ralf erzählt. Jedes Mal, das ist so ein Ausdruck, den man verwendet, wenn man die Male auffädeln muss, um sich rechtfertigen. Wenn man die Geschichten vom letzten Mal oben in den Koffer packt, um sie bei der Hand zu haben, wenn die ziehenden Worte anfangen. Zu Hand haben, das ist so ein Ausdruck, den man verwendet, wenn der Glücksstein in der Hosentasche fehlt und man sich streicheln muss.

Wenn ich meinen Mund schließe und die Töpfe im Schrank stehen, dann suche ich meine Nase. Manchmal vergesse ich, dass sie da ist und nur mir gehört. Gehören, das ist so ein Wort, das findet man, wenn man auszieht. Seitdem versalze ich mein Essen und lache dazu – mit Zahn.

Ich würge Generationen

Du willst mir die Farben erklären,
Doch ich habe vergessen wie Kinderzöpfe fliegen.
Atmest mir fleischrot ins Gesicht,
Ich sage ja,
Weil das Nein seit Uroma begraben liegt.
Ziehst mir Maschen um den Hals,
Alle finden es herzig
Zwei Zentimeter zu tief
Und ich würge dir Generationen zwischen die Beine
Laufe ins Grün und atme bis alles blau wird.